Blutrote Schwestern Roman by Jackson Pearce

Blutrote Schwestern  Roman by Jackson Pearce

Autor:Jackson Pearce
Die sprache: de
Format: mobi
ISBN: 9783426411629
Herausgeber: Knaur e-books
veröffentlicht: 2011-07-27T22:00:00+00:00


Statt den Bus zurück zum Apartment zu nehmen, laufe ich los und versuche, das dunkle, in meinem Herzen nagende Gefühl zu ignorieren. In meinem Kopf läuft die Szene, wie ich den Ellbogen des Mädchens finde, so oft ab, dass ich glaube, ihn noch immer unter meinen Fingerspitzen spüren zu können. Der Gedanke mischt sich mit den Erinnerungen an Oma Marchs Schlafzimmer. Bedeckt vom Blut des toten Fenris, hoffte ich damals, ihr in die Arme fallen zu können. Doch es war nichts von ihr übrig geblieben als eine blutige, zerrissene Schürze. Es ist, als würden die Fenris ein kleines Stück der Opfer absichtlich zurücklassen. Ein Stück, das sich für immer vor all die glücklichen Erinnerungen an den Toten schleicht und nie mehr verschwindet.

Ein Radio tönt laut durch die Nacht, Autoreifen quietschen, ansonsten ist die Straße leer. Ich wanke vorwärts wie ein Zombie, zu tot, um irgendetwas zu spüren. Zumindest fast. Selbsthass erfüllt mich. Der Wolf ist frei. Als ich die Chance hatte, ihn zu stoppen, habe ich es nicht getan.

Ich frage mich, ob Rosie heute Nacht Glück gehabt hat. Der Gedanke an ihren möglichen Erfolg sollte mich glücklich machen, aber er tut es nicht. Tief in mir ist eine dumpfe, widerliche Empfindung: Neid, der meinen Körper erfüllt und vielleicht sogar ausbricht. Die Jagd lockt mich, beruhigt mich, tröstet mich. Ich bin eine Jägerin. Oder war es. Jetzt bin ich eine Versagerin. Ich ziehe mir die Augenklappe herunter und reiße mir den Mantel von den Schultern.

Der Junkie steht auf den Stufen des Apartmenthauses, aber er knurrt mich nicht an. Stattdessen starrt er einfach auf die Stelle, an der mein Auge sein sollte, und geht mir dann mit einer Würde aus dem Weg, die mich beunruhigt. Das flackernde Straßenlicht erhellt die schwarzen tätowierten Tränen auf seinem Gesicht, und ich kann die Schatten spüren, die die Narben über mein Gesicht werfen, als wären auch sie tätowiert. Langsam, mit schweren Schritten steige ich die Stufen hinauf, schiebe die Tür auf und trotte dahin, bis ich im obersten Stockwerk ankomme.

»Nein, tatsächlich dachten sie bis zu meiner Geburt, ich wäre ein Mädchen. Um die Wahrheit zu sagen: Ich glaube, sie waren enttäuscht.«

»Wirklich? Das erklärt eine Menge.«

Meine Schwester kichert so schmetterlingssüß, dass es mir vor Frustration die Röte in die Wangen treibt. Es ist ihre Stimme und das, was ich kurz darauf sehe: Rosie liegt ausgestreckt auf der Couch, Klette schläft auf ihrem Bauch. Silas hat sich in einem der Stühle zurückgelehnt und die Füße auf den Graffititisch gelegt. Beide tragen Pyjamas, wirken total entspannt, warmherzig. Behaglich. Sogar gelangweilt. Sie sehen nicht aus, als hätten sie gejagt, überwacht oder Schmetterlinge verfolgt, um sie vor Monstern zu schützen. Nicht, als hätten sie mehr als andere versucht, die Welt zu einem ein bisschen besseren Ort zu machen. Sie sehen nicht aus, als hätten sie mit einem abgeschlachteten Mädchen zurechtkommen müssen.

»Scarlett.« Aus dem Mund meiner Schwester klingen Überraschung und Besorgnis.

Ich werfe meinen Mantel und die Augenklappe auf den Boden und drehe mich um, vor Wut kochend, nehme mir Zeit, die Tür hinter mir zu schließen.



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